Mein Vater erhielt die Einladung in der evangelisch-lutherischen Christuskirche in Rom zu spielen – als Auftakt zum Reformationsjahr. Eingeladen hatte die deutsche Botschafterin beim Heiligen Stuhl Annette Schavan, eine langjährige Freundin und Wegbegleiterin meines Vaters. So ging die Reise unserer Familie diesmal in die Ewige Stadt am Tiber. Hier führte mein Vater die drei ersten Suiten für Violoncello solo von Johann Sebastian Bach (BMV 1007-1009) am 11. November auf.
Bach ist die Quintessenz aller Musik
Ganz so solo war es allerdings dann doch nicht! In den Bach Suiten gibt es Choräle wie den Lutherchoral „Vom Himmel hoch“, Choräle zum Geschehen auf Golgotha oder zum überwältigenden Geschehen des Ostermorgens. Zum ersten Mal wurden bei diesem besonderen Konzert die Suiten mit den Chorälen verwoben. Mein Bruder Immanuel sang mit seiner hellen, klaren Stimme. Mein Vater spielte mit seiner ganzen virtuosen Leidenschaft. Die vielen Besucher waren begeistert und ich bin sicher, dass an diesem Abend in Rom die Worte von Pablo Casals „(…)Bach selbst ist die Quintessenz aller Musik“ nicht nur im Kopf sondern auch im Herzen angekommen sind.
Protestanten in Rom
Der 11. November war nicht zufällig gewählt, wie die Botschafterin Schavan in ihrer kurzen Begrüßungsrede feststellte. Am 11. November 1483 wurde Luther in Eisleben getauft – der Auftakt zum Lutherjahr 2017 in Rom. Dabei hatten es die Reformierten in der Ewigen Stadt Rom lange nicht leicht. Erst 1819 wurde der erste evangelische Pfarrer vom preußischen König entsandt und nur unter dem Schutz der preußischen Gesandtschaft konnten evangelische Gottesdienste zunächst gehalten werden. Die beklemmende Situation der evangelischen Christen in Rom endete mit dem Bau der Christuskirche, heute ein Ort der gelebten Ökumene.
Als Zugabe gab mein Vater das katalanische Lied „El Cant dels Ocells“ in einer Bearbeitung der Cello Legende Pablo Casals, den mein Vater besonders verehrt. Dieser hatte das Stück in seinen Exiljahren als Zugabe am Ende seiner Konzerte gespielt – als Friedensgruß. Der Gruß wurde von meinem Vater bewußt gewählt: zum einen gilt Casals als der Wiederentdecker der Solosuiten von Bach, zum anderen wollte mein Vater auf die beklemmende Lage des Friedens in der Welt, insbesondere auf die Situation in Aleppo in Syrien, aufmerksam machen.